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Einführungsvortrag


Prof. Dr. Andreas Brenne
Kunst/Kunstpädagogik, Universität Osnabrück


„Damals nicht, jetzt nicht, niemals!“
Varusschlacht im Osnabrücker Land Museum und Park Kalkriese
29. November 2019

„Die Kunst und der Krieg – Eine diskursethische Herausforderung“

Ein Kunstprojekt gegen den „Winterschlaf der Kultur“ – den Krieg; ist
das denkbar?
Kann Kunst den Frieden wirksam bezeichnen?

Am 07.11.2018 – 100 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges – der
Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts – wurde im Deutschen Bundestag
(Reichstagsgebäude, Abgeordnetenlobby) eine Ausstellung eröffnet, die
das versucht hat – und die Sie heute hier in Kalkriese zu sehen
bekommen.

Künstler*innen fungierten als Repräsentanten der 31 ehemaligen
kriegführenden Nationen bzw. ihrer Nachfolgerstaaten und entwickelten
Friedenszeichen, die gemeinsam (!) und dialogisch präsentiert wurden.
Auch wenn die künstlerischen Positionen verschieden sind, so
rekurrieren alle auf dasselbe Material, das ihnen der Osnabrücker
Künstler Volker-Johannes Trieb zur Verfügung stellte – Holzwürfel
bestehend aus Eichenstämmen aus dem damals stark umkämpften Hirtzbach
(Elsass), in denen sich Einschusslöcher, Kugeln und Granatsplitter des
ersten Weltkrieges wiederfinden.

Diese Holzblöcke wurden über die halbe Welt transportiert und sind
heute wieder im Osnabrücker Land, wo sie ihre Reise angetreten hatten.
Kann diese Kunst – oder Kunst überhaupt – den Frieden befördern – ist
die gemeinsame Geste derart tragend, dass der ganze Erdkreis sich
berührt fühlt? Gibt es positiv konnotierte Friedenszeichen, oder wird
„ex negagtivo“ argumentiert: Frieden ist die Abwesenheit von Krieg?

I. Vom Frieden

„Weit, weit von hier, hoch über Dschinnistan hinauf, liegt das
verlorene einstige
Paradies. Seine Tore sind geschlossen. Wer nach ihm sucht, der sieht
es von weitem
glänzen, jedoch hinein kann keiner. Bei Tag in sonnengoldenen Lettern,
bei Nacht in
flammenheller Sternenschrift sieht man über ihm den göttlichen Ruf
erstrahlen: „Ist
Friede auf Erden, dann kommt!“ (Karl May, Ardistan und Dschinnistan,
Kapitel 2)

Dieses vom deutschen Phantasten und Literaten Karl May entwickelte Szenario,
verdeutlicht ein gewichtiges Movens gesellschaftlicher Produktivität.
Dahinter verbirgt
sich die manifeste Sehnsucht nach Frieden, die sich in widerkehrenden
Bildern und
Texten Bahn bricht und sich aus dem Kontrast zur einer als widrig erlebten
Wirklichkeit speist. Diese in dichte Zeichenkonstellationen
transferierten Affekte
bezeichnen nicht allein einen elegischen Zustand im Sinne eines
eschatologischen
Vorbehalts, sondern formulieren auf Erfahrungen gegründete
Hoffnungsfigurationen, die im Sinne einer konkreten Utopie im Sinne
Ernst Blochs
einer eschatologischen Ermutigung gleichkommen.

Denn der Traum vom Frieden ist so alt wie die menschliche Kultur und dennoch
immer wieder überlagert vom Versuch, den Krieg als ein zentrales
Mittel zur Lösung
menschlicher Konflikte zu positionieren. Dabei geht es zumeist um
Hegemonien, um
Ressentiments, um Territorien und um Ressourcen.

In dieses dialektische Beziehungsgefüge zwischen Krieg und Frieden hat
sich die Kunst stets eingebracht und ihre spezifischen Zeichen und
Symbole zur Verfügung gestellt.
Die ‚Waffen‘ der Kunst in Form von visuellen, auditiven, performativen und
sprachlichen Zeichen, sind nicht frei von Gewalt (der Maler Jörg
Immendorf versucht
als Maoist die Malerei als Waffe als Instrument des Klassenkampfes zu
positionieren / der Singer/Songwriter Woody Guthrie verzierte seine
Gitarre mit der
Aufschrift „This machine kills fascists“); dennoch können sie einen
notwendigen
Perspektivwechsel evozieren, durch den aggressive und menschenfeindliche
Strategien unterlaufen werden können. Auch am Vorabend des ersten Weltkrieges
haben viele Künstler dies vergeblich versucht. „Sie schauten hinab, ob
endlich Friede sei; aber stets ist Krieg und Mord und Zank und
Streit.“ (Karl May, Ardistan und Dschinnistan 1, 1907, S. 216).

Dennoch gelang es den kriegsführenden Nationen, auch Künstler in die
kriegstreibenden Strategien aktiv und affirmativ zu involvieren. So
auch die Skulptur „Feinde ringsum“
von Franz Stuck am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Aber auch namhafte
Künstler der Avantgarde wie Max Liebermann oder Kasimir Sewerinowitsch
Malewitsch stellten ihre Kreativität der Sache des Krieges
propagandistisch zur Verfügung – und viele kämpften an vorderster
Front mit – fielen oder kehrten traumatisiert zurück.

Die Instrumente der Kunst sind niemals unschuldig – und können
multipel eingesetzt
werden. Auch wenn die Zeichen an sich neutral gelesen werden können, so lassen
sich sehr wohl dadurch Referenzen und Narrative erzeugen, die in Gewalt
umschlagen. Insofern ist es um so wichtiger, dass die Kunst sich ihrer
Wirkungsmacht bewusst ist und ihre Mittel abzuwägen weiß. Durchaus im Sinne
Adornos gilt es gerade im Kontext kritischer und politisch konnotierter
Zusammenhänge, die Affirmation zu vermeiden; d.h. dass auch das vermeintlich
‚gut‘ in ‚gut gemeint‘ umschlägt und das zu Kritisierende in ein schönes Bild
umformt, so dass jegliche Kritik ins Leere läuft.

II. Kunst der Diplomatie – Diplomatie der Kunst

Diplomatie ist ein zentrales Instrument, mittels der verfasste Staaten sich in
Friedensfähigkeit üben bzw. diese zu erhalten suchen. Spezifische Formen, die
intermedial und performativ entwickelt werden, können Brüche, Irritationen und
manifeste Aversionen überbrücken helfen – es geht um eine Kommunikation, die
normative Umgangsformen nutzt, um konsensuelle Entscheidungen trotz aller
Divergenzen möglich zu machen.

Im Sinne der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas
ermöglicht erst die Diplomatie eine gewaltfreie und chancengleiche
Teilnahme am
Diskurs. D.h. es bedarf spezifischer Rahmenbedingungen, in denen jedes sprach-
und handlungsfähige Subjekt eine Sprecherposition erhalten kann. Ziel
ist die freie
Artikulation von Einstellungen, Haltungen, Bedürfnissen und Wünschen jeglicher
Provenienz (s. Jürgen Habermas: Moralbewußtsein und kommunikatives Handeln,
1983). Dieser Möglichkeitsraum ist ästhetisch konnotiert. Es geht um visuelle
Zeichen, um Raumordnungen und um Rituale einer demokratischen politischen
Kultur.

Kunst – ein Kontingenzphänomen – agiert mittels eines ihr inhärenten quasi
diplomatischen Repertoires. Die Diplomatie der Kunst erzeugt wirksame
Gesten und
Formen, die es möglich machen, inkommensurable Perspektiven und Ansichten in
konfliktive Konstellationen einzuschreiben, so dass eine kritische
Fragehaltung
entstehen kann. Solche Unterbrechungen erschüttern Routinen des Gewalthandelns
und drängen nach ungewöhnlichen Lösungen.

Die amerikanische Künstlerin Taryn Simon setzte sich beispielsweise in
ihrem Projekt
„Paperwork And The Will Of Capital“, das auf der 57. Biennale von
Venedig gezeigt
wurde, mit Ritualen der internationalen Politik auseinander. Sie
rekonstruierte
Blumenbouquets, die im Rahmen internationaler Vertragsschlüsse zum Einsatz
kamen. Dadurch fokussierte sie die nahezu magische Aufladung
politischer Prozesse
und transformierte diese wiederum in eine subtile künstlerische
Position. „Ich kann
Blumen nicht mehr so naiv betrachten wie früher“ (Taryn Simon, vgl.
https://www.zeit.de/zeit-magazin/2016-06/taryn-simon-blumen-politik-kunst-fs).

Friedensfähigkeit entsteht nicht durch trennende, nur auf die eigene Nation
bezogene Diskurse, Symbole und Identitäten, sondern durch die Entwicklung von
geteilten Diskursen, Symbolen und Identitäten. Die Diplomatie der
Kunst evoziert Kommunikation, Aktivität und Kreativität. Sie ist eine
entgrenzende und subversive
Form der Friedensforschung.

Kunst als produktive Friedensforschung bietet keine unreflektierte
Vermittlung einer
Friedensbotschaft an, sondern evoziert die Entwicklung einer eigenständigen
Positionierung und Haltung. D.h. es geht um die Sichtbarmachung individueller
Gedanken und Assoziationen, die erst im Widerstreit mit den Auffassungen eines
Dritten das Potential entwickeln kann, Friedensfähigkeit zu
artikulieren. Dies ist nur
dann möglich, wenn eine plurale Ethik (vgl. Wolfgang Welsch) im Sinne einer
Aushandlung von Überzeugungen, Sichtweisen im Hinblick auf Handlungspotentiale
den Vermittlungsprozess berücksichtigt wird.

Frieden ist kein „Kirchhoffriede“ (vgl. Ernst Bloch), sondern entsteht
durch die aktive Bewältigung widerstreitender Positionen, die nicht
oberflächlich ästhetisierend aufgelöst werden können – alles ist immer
gut –, sondern bedarf einer Form, in der der Widerspruch
offensichtlich wird
und dennoch in eine gemeinsame ausgehandelte Form mündet. An dieser Stelle
kann ein Perspektivwechsel über ästhetische Prozesse initiiert werden.

Der „conceptual change“ besteht dann darin, dass der Widerstreit eine
die eigene
Position reflektierende erweiternde Strategie sein kann. Denn auch das
Selbst wird
durch das fremde Gegenüber erst verständlich. Die hier gezeigte
Ausstellung zielt
nicht vordergründig auf einen wohlfeilen Frieden ab, sondern will
Friedensfähigkeit
durch die aktive Bewältigung widerstreitender Bildung und Affekte anbahnen.

III. Bildhauerische Positionen

Letztes Jahr im November wurden die Arbeiten der Ausstellung „1914/1918 – Not
then, not now, not ever!“ in der Abgeordneten-Lobby des Berliner Reichstags
erstmals öffentlich präsentiert. Nun in Kalkriese – dem Ort der
Varusschlacht – eine
Konfliktlandschaft per excellence – und nächsten Jahr in der UNO.

Keine bildhauerische Melange, sondern ein herausfordernder Widerstreit
unterschiedlicher
Positionen und Perspektiven.

Einige Beispiele: Die NSK (Neue Slowenische Kunst) proklamiert einen
Neuen Staat als dritten Ort auf kontaminiertem Material, Berlinde De
Bruykere ummantelte den Würfel mit groben und in Wachs getauchte
Decken, so das der Antagonismus von Schutz und Offenlegung sichtbar
wird, wie ein nach außen gestülpter Torso. David McCracken schredderte
das Holz zu Wolle, die als
Träger einer cleanen Aluminiumbombe dient, quasi als Ikone des sublimierten
Gewalthandels. Shawn Scully erstellte aus dem Holz einen Miniatursarg,
in dem ein
gefallener „Private“ (unterster Mannschaftsdienstgrad) in Form eines
Zinnsoldaten seine letzte Ruhe findet.

Huan Yong Ping aus China bohrte kleine Löcher ins Holz und füllte sie
mit Spielzeug-
Miniaturaugen auf. Die Geister der Vergangenheit schauen dich an – es sind
allerdings die Augen von Teddybären. Aus dem geschundenen Holz blicken
Gesichter der Vergangenheit heraus, und es entwickelt sich eine
magische, bis ins
Grauenhafte oszillierende Zwiesprache von Betrachter und Kunstwerk.
Günther Uecker
vernagelt regelgerecht die Oberfläche, wobei die Nagelköpfe, gebeugt und
geschunden, von einem Akt der robusten Gewaltanwendung zeugen. Herrmann
Nietzsch überschüttet das Ganze mit blutroter Farbe – ein Richtklotz
der neueren
Geschichte.

Die Objekte wurde im Sinne einer komplexen Gesamtskulptur arrangiert,
wobei unterschiedliche Auffassungen und Positionen im Hinblick auf
Materialität,
Form und Responsivität sich ebenso unterscheiden, wie die inhaltlichen
Divergenzen.

Autonome Setzungen die auf Licht Form und Farbe rekurrieren, wie bei Uecker,
performative Referenzen wie bei Nietzsch, oder intertextuelle
Referenzen wie bei
Scully und McCracken zeigen, wie vielschichtig der heutige
Skulpturenbegriff ist und
welche Positionen und Perspektiven konfrontativ formale Problemlagen
an spezifische Narrative binden.

Der Staatenverbund der NSK zitiert Konventionen der Moderne und
verbindet sie mit totalitären Narrativen, die, unter Verzicht auf
Ironie, schizoide Phantasmen inkorporieren und ins reale Leben
transferieren. Im Jugoslawischen Bürgerkrieg konnte nicht wenige mit
einem ‚gefaketen‘ Pass die
feindliche Grenzen überwinden und ihr Leben retten. Die Referenz, das
Allegorische,
das Konkrete und das Reale überlagern sich und erzeugen nicht nur eine
komplexe
Form, sondern auch einen ungewöhnlichen Blick auf menschliches Gewalthandeln.

Dystopien, Utopien aber auch transzendent Abstraktionen zeigen sich,
und es bleibt
immer noch offen – 100 Jahre später – wie Frieden werden kann. Einen positiven
Konsenz gibt es nicht – nur Verzweiflung und Trauer.

Doch bei aller Divergenzen haben die Arbeiten einiges gemeinsam. Sie
zeigen, dass eine künstlerische Recherche die oberflächlichen
Narrative der Tagespresse (aber auch der
Geschichtsschreibung) produktiv unterlaufen kann, um neue Perspektiven zu
entwickeln (wobei dies dem Betrachter überantwortet wird – Kunst bietet keine
Lösungen).

Dabei spielt das Material sowie das ‚Phantastisch-Imaginäre‘ eine
zentrale Rolle, und zwar in ihrem wechselseitigen Bezug. Dies ist aber
kein solitärer,
sondern ein dialogischer Prozess – man könnte hier von einer sozialen Plastik
sprechen. Diese Positionierung der Gegenwartskunst unterscheidet sich
diametral
von den autonomen Setzungen der Moderne.

Wenn die Künstler vor 100 Jahren sich als autonome Einzelkünstler der
ideologischen Inanspruchnahme kaum entziehen konnten, so ist ein ins
Kollektive überführter Kunst- und Skulpturenbegriff ein Stück weit
gefeit vor diesen Anmutungen. Wenn man heute Kunst als partizipativ,
emanzipatorisch und sozial kommunikativ begreift, kann tatsächlich der
Frieden ein
Stück näher rücken. Nicht durch Affirmation mittels Abstraktion,
sondern durch den
prinzipiellen Verweis auf die Kontingenz von Kunst, in der das
Unsagbare nur als
sozialer Prozess bei wechselseitiger Anerkennung produktiv wird.

IV. „Games for Peace“

Friedensfähigkeit ist nicht nur eine ethische, sondern auch eine ästhetische
Herausforderung. Es geht nicht allein um eine adäquate Ausrichtung des
praktischen
Handelns, sondern auch um ein Gestaltungs- und Formempfinden, dass abseitige
und widerständige Formen konstruktiv zu bewältigen weiß.

Die Aufgabe besteht darin, Widersprüche zu integrieren, ohne diese
auflösen zu wollen. Friedrich Schiller hat in seinen Briefen über die
ästhetische Erziehung des Menschen dargelegt, dass das
Spiel der Ort ist, an dem die Interaktion mit dem Fremden, die
Versöhnung von Affekt
und Rationalität, stattfinden kann. Ein Ort der Transformation von
Affektionen in eine
symbolische Form, die sich durch Offenheit und Kontingenz auszeichnet.

Im Kontext der Auseinandersetzung mit dem 1914/18-Projekt haben sich
Grundschulkinder im letzten Jahr mit dem Problem befasst, wie man ein
Friedensspiel entwickeln kann, in dem es weder Sieger noch Verlierer
gibt und das
dennoch zum Spielen verlockt. Dabei galt es, alte Verhaltensmuster durch
gestalterische Praxen zu überwinden und diese im Spiel zu erproben.

Die Kinder entwickelten Spielfiguren, die sich auf Symbolisierungen
von Krieg, Frieden,
Staatlichkeit und Gewalt bezogen, um diese in ein Spannungsgefüge zu bringen.
Dabei gingen sie von gewohnten kompetitiven Spielformen aus, um diese im
Rahmen eines Spiels mit Formen, Farben und Konstellationen performativ
aufzulösen.

Die Spielobjekte wurden kontinuierlich modifiziert und kooperativ in neue
Zusammenhänge gebracht. Dabei wurde kein vorgegebenes Regelwerk
umgesetzt, sondern es galt, ein eigenes Regelwerk experimentell und
kooperativ zu
erproben.

Friedensfähigkeit ist kein solitärer Akt, sondern bedarf des Anderen. Und
dies beginnt ganz am Anfang und jeden Tag – wir sind es den Kindern schuldig.

Berta von Suttner schreibt in Ihrem Buch „Die Waffen nieder!“: „Nicht
unseren Vorvätern wollen wir trachten uns würdig zu zeigen – nein:
unserer Enkelkinder!“

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